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Posts Tagged ‘Kurzgeschichte’

Ich glaube, dass ich für alle spreche, wenn ich euch die folgenden Worte,  mit Freudentränen in den Augen, anvertraue:

„ Während meiner Kindheit bin ich, wie jeder andere sicherlich auch,  der Zeit begegnet. Geglänzt und gestrahlt hat sie. Sie war so hell, dass man die Augen kaum offen halten konnte. Man wurde regelrecht geblendet. Und in was für prächtige Kleider sie gehüllt war. Stoffe so edel, dass selbst der reichte Mensch der Welt sie nicht hätte bezahlen können.
Sie reichte mir ihre Hand. Diese Berührung weckte in mir das intensivste Gefühl, das ich bis dahin kannte und noch heute kenne. Es ist das Gefühl der absoluten und grenzenlosen Freiheit.“

Ich glaube, dass ich für alle spreche, wenn ich euch die folgenden Worte, voller Furcht, ins Ohr flüstre:

„ Ich bin kürzlich erst, wie jeder andere sicherlich auch, wiedereinmal der Zeit begegnet. Ich glaube zumindest, dass die Zeit war. Schrecklich sah sie aus. Verblasst der Glanz, der mich einst als Kind geblendet hat. Zerfetzt die edlen Stoffe, die ihren Körper zierten. Das Gesicht, abgemagert. Nein, nicht abgemagert, es war das Gesicht eines Toten. Vor mir war ein Schädel, über den jemand eine dünne Haut gespannt hat. Furchtbar!
Ich musste die Augen schließen, mich wegdrehen, einfach davonrennen. Es gab keinen anderen Ausweg. Ihr Anblick war nicht zu ertragen.“

Ich weis, dass ich nicht für alle spreche, wenn euch die folgenden Worte, vom höchsten Punkt der Welt aus, so dass ein jeder sie hören wird, schreie:

„Lange ist es her, dass ich beim Anblick der Zeit davongerannt bin. Schrecklich war ihr Äußeres und doch besaß ich fortwähren den Wunsch, sie wiederzusehen. Ich hatte vor, mich auf die Suche nach der Zeit zu begeben. Die Suche sollte nicht von langer Dauer sein, denn plötzlich stand die Zeit vor mir. Im alten Glanz und in neuen, weit aus prächtigeren Kleidern.
Sie wusste die Ketten, in die mich der Alltag gelegt hatte, zu sprengen, meine Neugeburt einzuleiten und das vergangene Sterben zu verhindern.
Mir fiel auf, dass das Gefühl der absoluten und grenzenlosen Freiheit niemals verschwunden war. Es umgab mich seit meiner Geburt. Ich hatte lediglich verlernt es zu sehen.“

Ich glaube, dass alle den folgenden Satz verstehen werden, da sie meine Worte schließlich gehört haben müssen:

„Nachdem ich nun die Zeit wiedergefunden habe, ist mir etwas an ihr aufgefallen. Sie besitzt eine austergewöhnliche Eigenschaft. Sie nutzt sich ab, wenn man sie nicht nutzt.“

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Der Prophet Mohamed sitzt in einer einsamen Gegend auf einem Hügel. Am Fuße des Hügels befindet sich eine Quelle. Ein Reiter kommt. Während der Reiter sein Pferd tränkt, fällt ihm ein Geldbeutel aus dem Sattel. Der Reiter entfernt sich, ohne den Verlust des Geldbeutels zu bemerken. Ein zweiter Reiter kommt, findet den Geldbeutel und reitet damit davon. Ein dritter kommt und tränkt sein Pferd an der Quelle. Der erste Reiter hat inzwischen den Verlust des Geldbeutels bemerkt und kehrt zurück Er glaubt der dritte Reiter habe ihm das Geld gestohlen, es kommt zum Streit. Der erste Reiter tötet den dritten Reiter, stutzt, wie er keinen Geldbeutel findet, und macht sich aus dem Staube. Der Prophet auf dem Hügel ist verzweifelt. „Allah“ ruft er aus, „die Welt ist ungerecht. Ein Dieb kommt ungestraft davon, und ein Unschuldiger wird erschlagen.“ Allah, sonst schweigend, antwortet: „Du Narr! Was verstehst du von meiner Gerechtigkeit! Der erste Reiter hatte das Geld, das er verlor, dem Vater des zweiten Reiters gestohlen. Der zweite Reiter nahm zu sich, was ihm schon gehörte. Der dritte Reiter hatte die Frau des Ersten Reiters vergewaltigt. Der erste Reiter, indem er den dritten Reiter erschlug, rächte seine Frau.“ Dann schwieg Allah wieder. Der Prophet, nachdem er die Stimme Allahs vernommen hat, lobt dessen Gerechtigkeit.


(Zitat: „Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht, nebst einem Helvetischem Zwischenspiel“ Friedrich Dürrenmatt Vortrag 1968/69)

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Beste Geschichte meines Lebens. Anderthalb Maschinenseiten vielleicht. Autor vergessen. In einer Zeitung gelesen. Zwei Schwerkranke im selben Zimmer. Einer an der Türe liegend, einer am Fenster. Nur der am Fenster kann hinaussehen. Der andere keinen größeren Wunsch als das Fensterbett zu erhalten. Der am Fenster leidet darunter. Um den anderen zu entschädigen, erzählt er ihm täglich stundenlang, was draußen passiert. Eines nachts bekommt er einen Erstickungsanfall. Der an der Tür könnte die Schwester rufen. Unterlässt es, denkt an das Bett. Am Morgen ist der andere tot, erstickt. Sein Fensterbett wird geräumt, der bisher an der Tür lag, erhält es. Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Gierig, erwartungsvoll wendet er das Gesicht zum Fenster.

Nichts, nur eine Mauer.

Wolfdietrich Schnurre, 1978

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Nehmen wir an, jemand – sagen wir, Black – möchte, daß Jones eine bestimmte Handlung ausführt. Black ist bereit, zur Durchsetzung seines Willens erhebliche Mühen auf sich zu nehmen. Er zieht es jedoch vor, ein unnötiges Offenlegen seiner Absichten zu vermeiden. Also wartet er, bis Jones im Begriffe steht, sich zu entscheiden, was er tun soll. Black tut nichts, ausgenommen es ist ihm klar (Black kennt sich in diesen Dingen ausgezeichnet aus), daß Jones sich entschließt, etwas anderes zu tun, als er von ihm zu tun verlangt. Wenn es wirklich deutlich wird, daß Jones etwas anderes zu tun beschließt, ergreift Black wirksame Maßnahmen, um sicherzustellen, daß Jones sich entscheidet, das zu tun, und dann wirklich das tut, was er von ihm zu tun verlangt. Welche Absichten und Neigungen Jones anfänglich gehabt haben mag, Black wird seinen Willen durchsetzen.[…] Nehmen wir nun an, daß Black zu keinem Zeitpunkt seine Absichten offen legen muß, weil Jones aus eigenen Gründen entscheidet, genau die Handlung zu vollziehen, und wirklich diese Handlung vollzieht, die Black von ihm zu tun verlangt. […] In der Tat geschah alles so, als ob es ohne Blacks Anwesenheit in dieser Situation und ohne dessen Bereitschaft, sich einzumischen, geschehen wäre.
(Aus: Harry Frankfurt, Freiheit und Selbstbestimmung, Berlin 2001, S. 59 ff)

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Jetzt sitzen wir hier, unser Bier ist bestellt. Du, mit dem Ich sonst nichts unternehme. Du, den Ich nur rufe, wenn ich etwas brauche. Du, den Ich nur sehe, wenn es sonst nichts zu sehen gibt. Du, den Ich zu Meinen eigenen Gunsten einspanne. Dein Wissen, welches Ich fortwährend nutze.

Du gibst Mir die Sicherheit, jemanden zu haben, wenn Ich ihn brauche. Den Ich benötige um mein Selbstwertgefühl zu steigern, weil Ich der bessere von uns bin. Ich binde dich mit Versprechungen an Mich, die Ich nicht halten werde. Mein Gewissen ist rein, wenn Ich dich im Stich lasse. Du hast begriffen das Ich ein Egoist bin, aber du bist naiv und glaubst an das Gute im Menschen. Es ist amüsant zu sehen, wie du deine Zeit an Mir verschwendest und es nicht merkst. Deine Taten sind für Mich eine Selbstverständlichkeit. Dein Dasein hat sich Meinen Gewohnheiten zu fügen.

Diese Worte sind mir fremd, aber dennoch Grundlage meiner Taten

– „Lass uns anstoßen, auf die einzig wahre Freundschaft!“ –

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Verfasst vom Autor Eugen und Gastautor Pablo.

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So ging er Schritt für Schritt den Pfad entlang. Ein Pfad, der keiner mehr war. Ein Pfad, der nie einer gewesen ist. Wie oft hat er sich schon überlegt, diesen kleinen und beschwerlichen Pfad zu verlassen. Oft sogar sehr oft hat er mit diesem Gedanken gespielt, doch nie den Entschluss gefasst, einen anderen Weg zu nehmen. Immer wenn es kein Vorankommen zu geben schien, war er kurz davor aufzugeben. Er hat niemals aufgegeben.Den einen Fuß vor den anderen setzend, schritt er voran.
Er wusste, dass sich eine gut geteerte Straße, in der Nähe befand. Er wollte nie hin. Er ging fortwährend seinen Pfad entlang. Er war es der den Pfad gestaltete. Er gab ihm seine Form. Er machte den Pfad zum Pfad. So konnte er nicht glauben, dass es Menschen gab, die keinen eigenen Pfad bestritten, sondern einen fremden Weg nutzten. Er mochte solche Menschen nicht.

Nach einer Weile blieb er stehen, um sich umzudrehen. Es gefiel ihm was er sah. Stolz konnte er auf seinen Pfad zurückblicken. Erinnerungen an die Reise waren es, die ihn zu Tränen rührten. Es war schön, den Weg der Vergangenheit zu verfolgen. Ja er hat in der Tat viel erlebt. Manche Momente rauschten an ihm vorbei, viel zu schnell um auch nur einen Augenblick festhalten zu können. Andere wiederum zogen sich ins unendliche. Es waren unerträgliche Momente. Momente die er am liebsten vermieden hätte. Oft führte ihn sein Pfad zu dem eines Anderen. Menschen die ihm halfen. Menschen denen er helfen konnte. Viele Kilometer wurden zusammen zurückgelegt, die meisten ging er jedoch allein. Dennoch fühlte er sich nie einsam. Nein einsam war er wirklich nicht. Endlich war die Zeit gekommen, in der er sich ausruhen konnte. Er schloss die Augen und schlief. Er war nun am Ende seines Pfades angekommen.

Doch sein Pfad fand kein Ende. Auch wenn man ihn nie mehr gesehen hatte, wusste man, dass er da war. Der Pfad den er beschritten hatte, wurde von vielen gekreuzt. So manch einer hat ihn auch fortgesetzt, doch nie missbraucht, nie zu seinem eigenen Vorteil genutzt. Er hat in der Tat einen schönen Pfad hinterlassen.

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